Russische Drohnen über Polen: Steht eine Aktivierung von Artikel 4 der NATO bevor?

Mehrere russische Drohnen wurden auf polnischem Gebiet zerstört, was die Spannungen zwischen Moskau und dem westlichen Verteidigungsbündnis verschärft. Nun diskutiert Polen über eine mögliche Konsultation gemäß Artikel 4 der NATO.
Tl;dr
Russische Drohnen provozieren diplomatische Initiative Polens
Am Abend des 9. September 2025 kam es zu einem Vorfall, der das sicherheitspolitische Gleichgewicht an Europas östlicher Grenze erneut ins Wanken bringt: Mehrere russische Drohnen durchquerten den polnischen Luftraum und verletzten damit gezielt die territoriale Souveränität von Polen. Diese Aktion sorgte in Warschau umgehend für Besorgnis – nicht zuletzt angesichts der wachsenden Spannungen mit Russland.
Polens Vorstoß: Berufung auf Artikel 4
Donald Tusk, der amtierende Ministerpräsident, reagierte noch am selben Tag vor dem Parlament mit einer klaren Ankündigung: Er werde eine formelle Aktivierung von Artikel 4 des Nordatlantikvertrags einleiten. Dieser Schritt ist alles andere als alltäglich, wie die Historie des Bündnisses zeigt. Artikel 4 sieht vor, dass sich die Mitgliedsstaaten zu Konsultationen versammeln, sobald ein Mitgliedsland seine territoriale Integrität oder Sicherheit bedroht sieht. Gerade weil dieses Verfahren seit Gründung der NATO im Jahr 1949 nur achtmal zur Anwendung kam – und davon bereits mehrfach im Kontext russischer Aggression – unterstreicht der polnische Appell die besondere Brisanz.
Kollektive Reaktion auf höchster Ebene
Unmittelbar nach Polens Initiative rief der Nordatlantikrat, das zentrale Entscheidungsorgan der NATO, alle Botschafter der inzwischen zweiunddreißig Mitgliedsstaaten zusammen. Das Treffen fand diesmal ausdrücklich unter dem Banner des Artikel 4 statt – eine Entscheidung, die neben Premierminister Tusk auch vom nationalistischen Präsidenten Karol Nawrocki aktiv unterstützt wurde. Mehrere Faktoren erklären diese Entscheidung:
Blick auf Artikel 5: Ein unberührter Schwellenwert im Verhältnis zu Russland
Obwohl oft darüber spekuliert wird, bleibt Artikel 5 – das Versprechen kollektiver Verteidigung bei einem Angriff – bislang unangetastet in Fällen russischer Aggression. Bisher wurde dieser Mechanismus erst ein einziges Mal ausgelöst: Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 gegen die Vereinigten Staaten. Die Tatsache, dass Artikel 5 noch nie wegen Russlands Handlungen aktiviert werden musste, verdeutlicht einerseits den Ernstfall – zeigt aber zugleich auch die behutsame Abwägung innerhalb der Allianz im Umgang mit eskalierenden Spannungen an ihrer Ostflanke.