Nach mehr als drei Monaten Corona-bedingter Schließung mag so manches Bier in den englischen Pubs schal schmecken - das hat die Briten am Samstag jedoch nicht davon abgehalten, endlich wieder in ihre geliebten Kneipen zu strömen. In einer weiteren Stufe der Lockerung der Corona-Beschränkungen dürfen ab diesem Wochenende Restaurants, Pubs und Cafés sowie Kinos, Museen und auch Frisöre wieder öffnen.
„Herrlich“, seufzte Andrew Slawinski in einem Pub im Norden Londons. Er griff damit wohl die Stimmung vieler in der Nation auf, die seit Ende März vor verschlossenen Türen im Gastgewerbe standen.
Die Politik hatte den „Super-Samstag“ aufgerufen, um dem in große wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Gastgewerbe wieder auf die Beine zu helfen. Damit Restaurants und Kneipen die nach wie vor geltenden Abstandsregeln und andere Corona-Auflagen erfüllen können, hatte die britische Regierung im Vorfeld die Lizenzerteilung für den Verkauf von Getränken und Essen im Freien vereinfacht. So dürfen Kunden unter anderem auch auf Parkplätzen bedient werden.
Die Wiedereröffnung nehmen ließ sich auch Prinz William nicht: Der britische Thronfolger zeigte sich bereits am Freitag gut gelaunt bei einem Auftritt in einem Pub im Osten Englands. Vorbildlich benutzte er jedoch vor dem ersten Schluck aus dem Bierglas einen Spender mit Handdesinfektionsmittel.
Finanzminister Rishi Sunak forderte die Briten am Samstag auf, „auswärts zu essen, um zu helfen“. Die Schließungen seien für Großbritannien besonders schmerzhaft gewesen, da der Konsum etwa zwei Drittel des Bruttoinlandsprodukts des Landes ausmacht.
Dennoch riefen die Politiker zu Vorsicht auf und warnten vor den immer noch bestehenden Gefahren durch das Coronavirus: Premierminister Boris Johnson forderte die Öffentlichkeit auf, gesunden Menschenverstand walten zu lassen. „Meine Botschaft lautet: Lasst uns das jetzt nicht vermasseln, Leute“, sagte er am Freitag im Radiosender LBC.
„Ich bin kein Spielverderber“, sagte Gesundheitsminister Matt Hancock, „aber das Virus kann immer noch töten“. Menschen, die er bewundert und respektiert habe, seien gestorben, sagte Hancock in einem Interview mit der „Daily Mail“. Er selbst werde nur ein Bier mit seinem Bruder trinken.
Auch die Polizei- und Rettungsdienste wollen Situationen wie vor dem Corona-Ausbruch verhindern, wo örtliche Notfallstationen „wie ein Zirkus voller betrunkener Clowns“ waren, sagte Brian Booth, Vorsitzender des Polizeiverbandes von West Yorkshire. Alkohol steigere die Kriminalität und würde den Druck auf die überlasteten Gesundheitsdienste erhöhen.
Die erste landesweite Schließung von Schankwirtschaften seit der Großen Pest von 1665 hat in Großbritannien zu einem Rekordeinbruch des Bierabsatzes geführt. Für das Wochenende sagte das Zentrum für Wirtschafts- und Unternehmensforschung jedoch 6,5 Millionen Gäste voraus – 1,5 Millionen mehr als an einem gewöhnlichen Wochenende.
Die Lockerungen gelten nur für England; Schottland, Wales und Nordirland erlassen ihre eigenen Corona-Bestimmungen. Mit rund 44.000 Corona-Toten ist Großbritannien das am stärksten von der Pandemie betroffene Land in Europa. Die Infektionsraten gingen zuletzt jedoch zurück.